Am Tag nach der Auszeichnung der Kammerspiele als “Theater
des Jahres” schlugen Münchner Theatergänger gespannt die SZ auf. Wie
würde sich die Zeitung zu dem unbestreitbaren Erfolg äußern? Es ist ja
nicht zu viel gesagt, das Verhältnis zwischen den Kammerspielen und der
Münchner Theaterkritik als ein zentrales Moment der Intendanz Lilienthal
zu bezeichnen.
In ihrem Artikel versucht Christine
Dössel, die Verantwortung für den Theaterdonner der CSU zuzuschieben.
Dabei verkennt die Kritikerin den Umstand, dass sich diese zum Beispiel
in einem Stadtratsantrag im November 2016 auf die “Kritik an der
Intendanz” in “verschiedenen Medien” beruft.
Was ist die
Funktion der Theaterkritik? Peter Brook hat sinngemäß gesagt: Die Kritik
diene dem Theater, wenn sie Unzulänglichkeiten verfolge. Brook
betrachtet den Kritiker nicht als Feind, sondern als Weggefährten auf
der Suche nach einem neuen Theater. Dabei hat Brook wie die Kritik die
üblichen Produkte im Blick: Schauspielkunst, Dramatik, Inszenierung.
Legt man diese Produkte als Bewertungsmaßstab zugrunde, dann handelten
die Kritikerinnen und Kritiker der SZ sicherlich nach bestem Wissen und
Gewissen. Nur sind die Kritik und die Kammerspiele auf zwei
unterschiedlichen Bahnen. Und hier liegt das für die Fortführung der
Intendanz Lilienthal letztlich fatale Missverständnis.
Beurteilt
man den Erfolg einer Intendanz an herausragenden Inszenierungen (wozu
eine Einladung zum Berliner Theatertreffen als Nachweis gilt), dann
standen die Kammerspiele immer gut da (seit 2016 vier Einladungen).
Allerdings sind diese Auszeichnungen nur ein erfreuliches Nebenprodukt
eines radikaleren Experiments, nämlich der Neudefinition dessen, was ein
Stadttheater ist. Wir Münchner sind Zeugen eines der umfassendsten
institutionsästhetischen Experimente in der deutschen Theaterlandschaft
der letzten Jahre. Noch nie wurde so umfassend die Freie Szene in das
Repertoiresystem eingebunden wie in München. Noch nie wurde die
sogenannte fünfte Sparte (alle Veranstaltungen, die keine Inszenierungen
sind) so erweitert wie an den Kammerspielen. Hinzu kommen Formate wie
das “Open Border Ensemble”, in dem professionelle Schauspielerinnen und
Schauspieler vor allem aus dem Nahen Osten arbeiten konnten. Dass das
alles auf Anhieb nicht reibungslos funktioniert, ist klar.
Wir
erwarten von unseren großzügig öffentlichen finanzierten Theatern, dass
sie Experimente wagen. Und zum Experimentieren gehört die Chance, neu
zu justieren. Diese wird Lilienthal und seinem Team leider nicht
gegeben. Die Auszeichnung als “Theater des Jahres” lesen wir als Beweis,
dass die Experimentier- in eine Konsolidierungsphase überging. Bei
einer Verlängerung der Intendanz hätten die Kammerspiele als Vorbild für
andere Stadttheater dienen können, ihr institutionelles
Selbstverständnis neu zu denken.
Leider ist es der SZ nicht gelungen, ihre Autorinnen und Autoren zu ermutigen, das gewaltige Theaterprogramm der Kammerspiele in eine wirkmächtige Sprache der Kritik zu übersetzen. Prof. Dr. Christopher Balme und Christian Steinau, München
Am Tag nach der Auszeichnung der Kammerspiele als “Theater des Jahres” schlugen Münchner Theatergänger gespannt die SZ auf. Wie würde sich die Zeitung zu dem unbestreitbaren Erfolg äußern? Es ist ja nicht zu viel gesagt, das Verhältnis zwischen den Kammerspielen und der Münchner Theaterkritik als ein zentrales Moment der Intendanz Lilienthal zu bezeichnen.
In ihrem Artikel versucht Christine Dössel, die Verantwortung für den Theaterdonner der CSU zuzuschieben. Dabei verkennt die Kritikerin den Umstand, dass sich diese zum Beispiel in einem Stadtratsantrag im November 2016 auf die “Kritik an der Intendanz” in “verschiedenen Medien” beruft.
Was ist die Funktion der Theaterkritik? Peter Brook hat sinngemäß gesagt: Die Kritik diene dem Theater, wenn sie Unzulänglichkeiten verfolge. Brook betrachtet den Kritiker nicht als Feind, sondern als Weggefährten auf der Suche nach einem neuen Theater. Dabei hat Brook wie die Kritik die üblichen Produkte im Blick: Schauspielkunst, Dramatik, Inszenierung. Legt man diese Produkte als Bewertungsmaßstab zugrunde, dann handelten die Kritikerinnen und Kritiker der SZ sicherlich nach bestem Wissen und Gewissen. Nur sind die Kritik und die Kammerspiele auf zwei unterschiedlichen Bahnen. Und hier liegt das für die Fortführung der Intendanz Lilienthal letztlich fatale Missverständnis.
Beurteilt man den Erfolg einer Intendanz an herausragenden Inszenierungen (wozu eine Einladung zum Berliner Theatertreffen als Nachweis gilt), dann standen die Kammerspiele immer gut da (seit 2016 vier Einladungen). Allerdings sind diese Auszeichnungen nur ein erfreuliches Nebenprodukt eines radikaleren Experiments, nämlich der Neudefinition dessen, was ein Stadttheater ist. Wir Münchner sind Zeugen eines der umfassendsten institutionsästhetischen Experimente in der deutschen Theaterlandschaft der letzten Jahre. Noch nie wurde so umfassend die Freie Szene in das Repertoiresystem eingebunden wie in München. Noch nie wurde die sogenannte fünfte Sparte (alle Veranstaltungen, die keine Inszenierungen sind) so erweitert wie an den Kammerspielen. Hinzu kommen Formate wie das “Open Border Ensemble”, in dem professionelle Schauspielerinnen und Schauspieler vor allem aus dem Nahen Osten arbeiten konnten. Dass das alles auf Anhieb nicht reibungslos funktioniert, ist klar.
Wir erwarten von unseren großzügig öffentlichen finanzierten Theatern, dass sie Experimente wagen. Und zum Experimentieren gehört die Chance, neu zu justieren. Diese wird Lilienthal und seinem Team leider nicht gegeben. Die Auszeichnung als “Theater des Jahres” lesen wir als Beweis, dass die Experimentier- in eine Konsolidierungsphase überging. Bei einer Verlängerung der Intendanz hätten die Kammerspiele als Vorbild für andere Stadttheater dienen können, ihr institutionelles Selbstverständnis neu zu denken.
Leider ist es der SZ nicht gelungen, ihre Autorinnen und Autoren zu ermutigen, das gewaltige Theaterprogramm der Kammerspiele in eine wirkmächtige Sprache der Kritik zu übersetzen. Prof. Dr. Christopher Balme und Christian Steinau, München